Hebei(河北)
Die Provinz um die Hauptstadt - Geschichte, Industrie und Natur
Das Herz des Kaiserreichs
Stellen Sie sich eine Provinz vor, die zwei Weltstädte vollständig umschließt – das ist Hebei, Chinas geografisches Paradox und politisches Kraftzentrum. Wie ein Donut umhüllt die Provinz Beijing und Tianjin, wodurch sie zur einzigen chinesischen Provinz wird, die gleichzeitig Puffer, Versorger und Beschuetzer der Macht ist. Diese Außergewöhnliche Lage machte Hebei über Jahrhunderte zum Schauplatz entscheidender Momente der chinesischen Geschichte.
Für westliche Besucher offenbart sich hier China in seiner ganzen Widerspruchslichkeit: Morgens wandeln Sie auf der Großen Mauer, wo Ming-Kaiser einst gegen mongolische Reiterheere kämpften, mittags durchqueren Sie Stahlwerke, die mehr produzieren als ganze europische Länder, und abends erreichen Sie Kaisergrber, in denen die mächtigsten Herrscher der Weltgeschichte ruhen. Hebei ist China's Gedchtnis und Zukunft in einem – 75 Millionen Menschen, die zwischen Tradition und Transformation leben.
Geografie und Besonderheiten
Hebei erstreckt sich von der Bohai-Küste im Osten bis zu den Ausläufern des Taihang-Gebirges im Westen. Die Provinz umschließt nicht nur Beijing und Tianjin, sondern grenzt auch an die Innere Mongolei im Norden und die Provinzen Liaoning, Shandong, Henan und Shanxi.
Diese zentrale Lage macht Hebei zum Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord- und Nordostchina. Sämtliche Eisenbahnlinien und Autobahnen von und nach Beijing durchqueren Hebei-Territorium.
Historische Bedeutung
Hebei war über Jahrhunderte das Kernland chinesischer Dynastien. Die Region beherbergte zeitweise kaiserliche Nebenresidenzen und Sommerpaläste. Die wichtigsten historischen Stätten:
Die Große Mauer
Die beeindruckendsten und am besten erhaltenen Abschnitte der Großen Mauer befinden sich in Hebei. Während die touristisch erschlossenen Sektionen bei Badaling technisch zu Beijing gehören, verlaufen hunderte Kilometer der Mauer durch Hebei-Gebiet, darunter weniger besuchte, aber spektakuläre Abschnitte wie Jinshanling und Gubeikou.
Chengde - Kaiserliche Sommerresidenz
Die Stadt Chengde im Nordosten Hebeis beherbergt die kaiserliche Sommerresidenz Bishu Shanzhuang und die "Acht Äußeren Tempel" - ein UNESCO-Weltkulturerbe. Die Qing-Kaiser verbrachten hier die Sommermonate und empfingen ausländische Gesandte. Die Anlage verbindet chinesische Gartenbaukunst mit tibetischer und mongolischer Architektur.
Ewige Ruhe der Drachenkaiser
In den nebelverhangenen Hügeln von Zunhua liegt Chinas gewaltigste Totenstadt – die östlichen Qing-Gräber, wo fünf Kaiser ruhen, die über ein Drittel der Menschheit herrschten. Hier liegt Kangxi (61 Jahre Herrschaft!), unter dessen Regierung China größer wurde als je zuvor, und Qianlong, der Poet-Kaiser, der Kunst und Literatur zur Blüte brachte. Die Grabanlage erstreckt sich über 80 Quadratkilometer – größer als Manhattan.
Das Beeindruckendste: Hier ruhen nicht nur Kaiser, sondern auch die legendäre Kaiserinwitwe Cixi, die China 47 Jahre lang regierte und als letzte mächtige Herrscherin der Qing-Dynastie in die Geschichte einging. Ihr Grab übertrifft an Pracht sogar die der Kaiser – ein steinernes Zeugnis weiblicher Macht in einer Mannerherrschaft.
Wirtschaft und Industrie
Hebei ist Chinas größter Stahlproduzent und liefert etwa ein Viertel der nationalen Stahlproduktion. Die Provinz ist Zentrum der Schwerindustrie mit Fokus auf:
- Stahlerzeugung und Metallverarbeitung
- Petrochemie und Raffinerie
- Zementproduktion
- Textil- und Bekleidungsindustrie
- Landwirtschaft (Weizen, Baumwolle, Erdnüsse)
Die industrielle Konzentration führte allerdings auch zu massiven Umweltproblemen. Beijing-Besucher kennen den berüchtigten Smog, der teilweise aus Hebei-Industrieanlagen stammt. Die chinesische Regierung hat deshalb drastische Maßnahmen zur Luftreinhaltung ergriffen, darunter die Verlagerung oder Schließung umweltverschmutzender Betriebe.
Chinas kühnster Plan: Eine Megacity für 110 Millionen
Was wäre, wenn Deutschland, Österreich und die Schweiz zu einem einzigen Wirtschaftsraum verschmolzen? Genau das versucht China seit 2014 mit der "京津冀一体化" (Jing-Jin-Ji Integration) – der Vereinigung von Beijing, Tianjin und Hebei zu einer Mega-Metropolregion mit mehr Einwohnern als Deutschland. Das ambitionierteste Stadtplanungsprojekt der Menschheitsgeschichte entsteht vor unseren Augen.
Die Vision ist atemberaubend: Binnen 20 Jahren soll eine zusammenhängende Riesenstadt entstehen, in der man morgens in Beijing arbeitet, mittags in Tianjin zu Mittag isst und abends in Shijiazhuang wohnt – alles in unter einer Stunde Fahrzeit. Kernstücke dieser Transformation:
- Xiong'an New Area - "Chinas Silicon Valley" entsteht auf grüner Wiese: Eine 2.000 Quadratkilometer große Stadt für zwei Millionen Menschen, die Regierungsbürokratie, Top-Universitäten und Tech-Konzerne aus dem überfüllten Beijing abziehen soll. Xi Jinping nennt es "eine Aufgabe für das Jahrtausend".
- 350-km/h-Bahn-Netz - Bereits heute rasen Hochgeschwindigkeitszüge im 10-Minuten-Takt zwischen den Hauptstädten. Bis 2030 sollen alle Städte über 500.000 Einwohner an das Netz angeschlossen sein.
- Die größte Luftreinhaltung der Welt - Tausende verschmutzende Fabriken werden geschlossen oder verlegt. Beijing's beruchtigter Smog soll Geschichte werden.
Skeptiker sprechen von Größenwahn, Befürworter von der Zukunft des urbanen Lebens. Eines ist sicher: Hebei steht im Zentrum des größten Experiments der Stadtgeschichte.
Wichtige Städte in Hebei
Shijiazhuang (石家庄)
Provinzhauptstadt und Verkehrsknotenpunkt. Relativ junge Industriestadt mit 11 Millionen Einwohnern.
Tianjin (天津)
Regierungsunmittelbare Hafenstadt (umgeben von Hebei), historisches Handelszentrum mit europäischen Konzessionsgebieten.
Tangshan (唐山)
Industriestadt, bekannt durch das verheerende Erdbeben 1976 mit 240.000 Toten. Heute modernes Industriezentrum.
Chengde (承德)
Historische Stadt mit kaiserlicher Sommerresidenz, UNESCO-Welterbe, wichtiges Touristenziel.
Qinhuangdao (秦皇岛)
Küstenstadt am Bohai-Meer, wichtiger Kohlehafen und Badeort. Hier trifft die Große Mauer auf das Meer (Shanhaiguan).
Baoding (保定)
Historische Stadt südlich von Beijing, strategisch wichtig für die Xiong'an New Area.
Tourismus und Sehenswürdigkeiten
Trotz der industriellen Prägung bietet Hebei zahlreiche touristische Highlights, die oft im Schatten Beijings stehen, aber einen Besuch lohnen:
- Große Mauer bei Jinshanling - Weniger überlaufen als Badaling, spektakuläre Berglandschaft
- Chengde Sommerresidenz - Größte kaiserliche Gartenanlage Chinas
- Shanhaiguan - "Erster Pass unter dem Himmel", wo die Große Mauer auf das Meer trifft
- Cangyan Shan - Spektakuläre Berglandschaft mit hängendem Tempel
- Beidaihe - Historischer Badeort der kommunistischen Führung
Praktische Informationen
Anreise: Die meisten Besucher kommen über Beijing. Von dort führen Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen in alle Teile Hebeis. Shijiazhuang ist etwa 1 Stunde von Beijing entfernt, Tianjin nur 30 Minuten.
Beste Reisezeit: Frühling (April-Mai) und Herbst (September-Oktober) sind ideal. Sommer kann sehr heiß werden, Winter ist kalt mit Temperaturen oft unter dem Gefrierpunkt.
Sprache: Mandarin mit deutlichem Nordchina-Akzent. In ländlichen Gebieten werden lokale Dialekte gesprochen.