Lu Xun
鲁迅
Wegbereiter der modernen chinesischen Literatur, dessen radikale Gesellschaftskritik die kulturelle Erneuerung Chinas prägte. Mit seiner 1918 erschienenen Erzählung über einen Verrückten revolutionierte er die chinesische Prosa und wurde zur intellektuellen Leitfigur seiner Generation.
Vom Medizinstudenten zum Literaten
Zhou Shuren, der unter dem Pseudonym Lu Xun weltberühmt wurde, erlebte als Kind den dramatischen Abstieg seiner Gelehrtenfamilie in Shaoxing. Die Inhaftierung seines Großvaters wegen Bestechung zwang den 13-Jährigen, mit seiner Mutter bei der Großmutter auf dem Land Zuflucht zu suchen. Diese frühe Begegnung mit der harten Realität des ländlichen China sollte sein literarisches Schaffen zeitlebens durchdringen. Seine Ausbildung führte ihn von der Marineakademie in Nanjing über die Akademie für Eisenbahn- und Bergbauwesen bis nach Japan, wo er 1902 mit einem Staatsstipendium Medizin studierte. An der Medizinischen Akademie in Sendai kam er zu einer folgenreichen Erkenntnis: Nicht die Heilung kranker Körper, sondern die Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins sei die dringendste Aufgabe. 1906 brach er das Medizinstudium ab und widmete sich der Literatur und Philosophie, übersetzte europäische Werke und entwickelte seine eigene literarische Stimme.
Der Durchbruch zur literarischen Moderne
Nach seiner Rückkehr 1909 unterrichtete Lu Xun zunächst in Hangzhou und Shaoxing, bevor er nach der Revolution von 1911 im neu gegründeten Bildungsministerium der Republik China tätig wurde. Sein literarischer Durchbruch erfolgte 1918, als er Redakteur der einflussreichen Zeitschrift »Neue Jugend« wurde. Seine Erzählung »Tagebuch eines Verrückten« erschien im selben Jahr und markierte einen radikalen Bruch mit der traditionellen chinesischen Literatur. Die paranoid-surreale Geschichte eines Mannes, der überall Kannibalen wittert, entlarvte die konfuzianische Gesellschaftsordnung als menschenfeindliches System. Das Werk etablierte die moderne Umgangssprache als literarisches Medium und ebnete den Weg für eine neue Generation von Schriftstellern. Ab 1920 lehrte Lu Xun an der Peking-Universität und verkehrte im intellektuellen Zentrum der Mai-4.-Bewegung, jener kulturrevolutionären Strömung, die Chinas geistige und politische Erneuerung vorantrieb. 1921 erschien »Die wahre Geschichte des Ah Q«, eine tragikomische Parabel über Selbsttäuschung und gesellschaftliche Unterdrückung.
Shanghai und das späte Werk
Die zunehmend repressive politische Atmosphäre zwang Lu Xun 1926 zum Ortswechsel nach Xiamen, 1927 nach Guangzhou, bevor er sich endgültig in Shanghai niederließ. In der Metropole am Jangtse entfaltete er als freier Schriftsteller und Publizist seine produktivste Phase. Er gründete Zeitschriften, förderte junge Talente und übersetzte russische und deutsche Literatur. 1930 gehörte er zu den Mitbegründern der Liga linksgerichteter Schriftsteller. Seine essayistische Prosa entwickelte er zu einer scharfen Waffe gegen Militarismus, soziale Ungerechtigkeit und kulturelle Rückständigkeit. Als Übersetzer brachte er Werke von Gogol, Tschechow und Andersen ins Chinesische und fungierte als Kulturvermittler zwischen Ost und West. Seine literarische Hinterlassenschaft umfasst neben Erzählungen und Essays auch bedeutende literaturtheoretische Schriften. Am 19. Oktober 1936 erlag Lu Xun im Alter von 54 Jahren seiner Tuberkuloseerkrankung. Sein Begräbnis entwickelte sich zu einer Massendemonstration; Tausende säumten die Straßen Shanghais.